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MOMO

Einfache Sprache Gebärdensprache

Der Text heißt: Momo

Die Autorin heißt: Sumona

Hier könnt ihr den Originaltext von der Autorin Sumona in Standardsprache lesen.

Das ist der vereinfachte Text. 

 

Momo

Ein kleiner Imbisswagen in der Warschauer Straße ist der einzige Ort in Berlin, der mich für eine Sekunde nach Kathmandu zurückversetzt.

In dem Imbisswagen gibt es Teigtaschen. Die Teigtaschen heißen in Nepal Momos. Aber es sind Aromen, die für den deutschen Geschmack fremd schmecken.

Der Geschmack der bekannten Gewürze auf meiner Zunge lässt mich in der Zeit zurückreisen. Ich denke an die vielen Familienbesuche, die immer intensiv und immer viel zu kurz waren. Meine Zeit in Nepal verging immer so schnell. So schnell, wie es dauert eine Portion Momos zu essen. 

Die Momos sind für mich wie ein Stück Zuhause. Ein Stück Zuhause, das ich zurückgelassen habe. Zurückgelassen, bevor ich überhaupt angefangen habe, es mein Zuhause zu nennen.

Wie viele Menschen aus Nepal in Deutschland leben, ist nicht eindeutig erfasst.
Die meisten Nepalesinnen und Nepalesen scheinen in großen Städten wie München, Frankfurt, Hamburg und Berlin zu wohnen. 

Ich frage mich: Wie kommt es aber, dass ich euch hier nie begegne?
Ich kenne  nur wenige Orte, wie zum Beispiel Restaurants wo ich Nepalesinnen und Nepalesen ab und zu begegne. Ich weiß fast nichts darüber, was die nepalesische Gemeinschaft in Deutschland überhaupt ausmacht.

Ich habe viele Fragen und wenig Antworten:

Gibt es die nepalesische Gemeinschaft überhaupt? 

Sind wir Nepalesinnen und Nepalesen unsichtbar? 

Oder bin ich nicht aufmerksam genug? 

Wie soll ich eine Gemeinschaft aufbauen oder mich einer Gemeinschaft anschließen, wenn ich nie wirklich Teil einer Gemeinschaft war?

Kann ich mich an meine Kindheit nur über den Genuss von nepalesischem Essen erinnern? 

Ist das Kochen von nepalesischen Gerichten die einzige Möglichkeit, mich mit meinen nepalesischen Wurzeln zu verbinden?

In einem englischen Artikel im Internet steht:

In Deutschland lebende Nepalesinnen und Nepalesen setzten sich im Wesentlichen aus den drei folgenden Gruppen zusammen:

Sie kamen nach Deutschland:

  • als Aupair oder Studierende 
  • im Rahmen der Familienzusammenführung 
  • als Geflüchtete 

Ich glaube allerdings nicht, dass sich unsere Auswanderungsgeschichten allein durch diese drei Kategorien erzählen lassen.

Oder können wir uns tatsächlich so einordnen lassen? 

Wir müssen diese Kategorien auflösen und uns etwas Neues schaffen.

Aber wer ist dieses “wir” überhaupt?

In dem Artikel aus dem Internet ist die original Formulierung für Familienzusammenführung „familie reunion in german“.

Ist Ihnen dabei etwas aufgefallen? Die meisten Menschen würden diese Formulierungen als Rechtschreibfehler werten. 

Ich nenne diese Mischung aus nepalesischem Englisch und deutscher Rechtschreibung „vernacular Masala“. Das heißt übersetzt: “umgangssprachliches Masala”.

Meine Tante sagte immer: Sumona kommt aus Deutschland. Obwohl ich in Kathmandu geboren bin und meine frühe Kindheit dort verbracht habe.

Das ist keine ungewöhnliche Situation für Menschen aus anderen Ländern mit migrantischer oder diasporischer Erfahrung. Englische Begriffe dazu sind: Menschen mit bi-racial, mixed-raced oder multikulturellem Hintergrund.

Wir sind damit aufgewachsen uns ständig zu fragen, was wir nun eigentlich sind.

Bin ich:
deutsch-Nepalesin,
nepalesische Deutsche,
Deutsche mit nepalesischer Herkunft oder
asiatisch-diasporisch?

Können diese Kategorien mir dabei helfen meinen Platz, meine Identität und meine Gemeinschaft zu finden?
Bin ich nur eine enttäuschende Nachahmung von den nepalesischen Momos?
Angepasst an den deutschen Geschmack?

Oder eine komische Art Berliner Momo?
Gefüllt mit Feta-Käse und Spinat oder noch schlimmer Kartoffeln. Wobei ich nichts gegen Kartoffeln habe.

Momos stammen ursprünglich aus Tibet.
Sind dann nepalesische Momos auch nur eine Kopie?

Ich mache hier einen klaren Unterschied:
Es gibt kulturelle Aneignungen durch die Vorherrschaft von reichen Ländern.
Und es kommt zu kulturellen Verschmelzungen durch regionale Verflechtungen.

Keine Kultur geht nur in eine Richtung.
Jede Kultur ist eine Verschmelzung der Vielfalt.

Es gibt nicht die eine Herkunft.

Nicht für Momos und nicht für Menschen.

Man muss sich nur die große Auswahl und Vielfalt an asiatischen Teigtaschen ansehen.
Diese Vielfalt der Momos setzt meinen endlosen Sorgen um das Thema Anpassung und Identität ein Ende.

Bánh Bao, Baozi, Sala Pao, Mandu, Nikuman, Buuz, Pau …. Es gibt so viele asiatische Köstlichkeiten.

Man zieht in Städte wie Berlin mit hohen Erwartungen. Man hofft, „seine Leute“ zu finden.

Die Idee eine Gemeinschaft nur auf kultureller oder ethnischer Basis aufzustellen funktioniert so nicht.

Ich träume von Städten, in denen das Zugehörigkeitsgefühl nicht an nationale oder kulturelle Gemeinsamkeiten gebunden ist.
Aber das ist eine Phantasievorstellung, in der Werte wie Familie und Gemeinschaft nicht von dem Zusammentreffen bestimmter Umstände bestimmt sind.

Und doch sehne ich mich weiterhin danach, die nepalesischen Deutschen oder die deutschen Nepalesinnen und Nepalesen zu finden.
Die Deutschen nepalesischer Herkunft oder all die anderen in Deutschland lebenden Nepalesinnen und Nepalesen.

Und meine Suche begann an einem kleinen Momo-Imbiss auf der Warschauer Straße in Berlin.

Wer sich von diesen Gedanken angesprochen fühlt, soll nicht zögern Kontakt mit anderen aufzunehmen.

Lasst uns Orte erkunden, Räume erschaffen und zusammen eine Gemeinschaft formen.

Wie auch immer diese Gemeinschaft am Ende aussehen wird.

Wir sind nicht unsichtbar.